Die Sache mit Prévert
Als Anna jung in Frankreich war, jünger, vor ganzen sechs Jahren, schenkte ein Mann ihr ein Buch. Anna freute sich damals, stellte es stolz in das Regal. Den Namen hatte sie noch nie gehört: Jacques Prévert. Der Mann, sah Anna, hatte sich mehr versprochen. Aber so weit war sie damals noch nicht.
Viel später, viel später, als Anna dem Mann sagte, sie müsse nun gehen, tat sie das beinahe mit einem Satz von Prévert auf den Lippen, nicht mit irgendeinem. Mit dem, an dem der Mann, der ihr das Buch geschenkt hatte, am meisten, am allermeisten hing. Denn tatsächlich, an diesem Tag, regnete es in Brest, sans cesse.
Der Mann ging nach Brest. Anna blieb in Paris. Wo es auch regnete, aber irgendwie ohne Prévert.
Dann kam der Löwe. Und der Löwe las nicht Prévert, der Löwe las die Grossen und gab sie Anna. Die sie auch las, aber anders. Nie mehr jemanden wie Prévert. Verlorene Unschuld und so weiter. Der Löwe schenkte ihr einen Prachtband, wohl den einzigen, den sie je haben wird: Rimbaud. Der schöne Mann, der ihr zu jung ist für das, was sie gerade jetzt braucht.
Und so greift Anna, sechs-sieben Jahre nach dem Regen von Brest wieder zu Prévert, geht zurück ad fontes und hofft, der Bär wenigstens würde verstehen. Er sieht aus, als könne er. (Er tut nicht. Er schweigt, wie er immer schweigt, wenn es wichtig wird.)
Prévert ist Kitsch, Prévert ist mutig und der, der immer jung bleibt. Einer, mit dem Jugend Lyrik entdecken kann, ohne die grossen metaphysischen Schleimspuren, die die selbe Jugend in Deutschland um Fried ziehen muss. (Es ist eben nicht, was es ist. Und auch nie gewesen.)
Und so liest Anna nun wieder - alt geworden, jung geblieben - Prévert.
Paris at night und
La Chanson dans le sang (Il y a de grandes flaques de sang sur le monde / où s'en va-t-il tout ce sang répandu/est-ce la terre qui le boit et qui se saoule / drôle de soulagraphie alors / si sage ... si monotone... / Non la terre ne se saoule pas)
Und das eine, was er sicher für Anna geschrieben hat:
DIMANCHE
Entre les rangées d'arbres de l'avenue des Gobelins
Une statue de marbre me conduit par la main
Aujourd' hui c'est dimanche les cinémas sont pleins
Les oiseaux dans les branches regardent les humains
Et la statue m' embrasse mais personne ne nous voit
Sauf un enfant aveugle qui nous montre du doigt.
(Heute ist Montag. ) Eigentlich, denkt Anna, fehlt nur der Briefkasten. Und dann wäre das ihr Leben, wäre gewesen. Und sie hätte sich einen Vogel gekauft, weil man nie weiss, wozu der uns Kaminkehrern und Schäferinnen einmal dienlich sein kann.
Heute ist Montag, Ostermontag. Anna geht spazieren mit einem, der von alle dem nichts weiss. Sieht "geschmückte Menschen" und "Strom und Bäche". Sie hat versucht, sie vom Eise zu befreien. Das ging nicht.
Bleibt nur Prévert. Für heute. (Der Bär schweigt.)